Interview

Dr. Uwe Mazura und Anja Merker im Interview über die Digitalisierung in der Textilindustrie

"Niemand muss zum „Digital Native“ werden..." Anja Merker vom Kompetenzzentrum Textil vernetzt und Dr. Uwe Mazura vom Gesamtverband textil+mode über Födermöglichkeiten und Unterstützung durch Expertennetzwerke.
© Gesamtverband textil+mode
© Gesamtverband textil+mode

Digitalisierung ist ein wichtiges Thema in der Textil- und Modeindustrie. Doch vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen der Branche geht das auch mit Unsicherheiten und Herausforderungen einher. Wir haben Herrn Dr. Uwe Mazura, dem Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands textil+mode und Anja Merker, der Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Textil vernetzt unsereFragen zu Informationsmöglichkeiten, Unterstützung und Förderungen für KMU gestellt.

Herr Mazura, Sie sind seit 2014 Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands textil+mode – könnten Sie die Aufgaben des Verbandes genauer beschreiben?

Als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband vertreten wir die Interessen der rund 1.400 zumeist mittelständischen Betriebe mit über 135.000 Beschäftigten, die in Deutschland einen Umsatz von jährlich rund 35 Milliarden Euro erwirtschaften. Wir sind der Dachverband unserer 11 Landes- und 14 Fachverbände der Textil- und Bekleidungsindustrie sowie der Schuh- und Lederwarenindustrie in Deutschland. Neben der Tarifpolitik sind wir mit unseren Büros in Berlin und Brüssel mit allen relevanten gesellschaftlichen und politischen Akteuren in Kontakt. Dabei geht es darum, das Leistungsspektrum der deutschen Textilindustrie in seiner ganzen Vielfalt und Innovationskraft sichtbar zu machen und sich in alle Prozesse einzubringen, die unseren Unternehmen möglichst gute Standortfaktoren sichern.

Was macht denn die Vielfalt der deutschen Textilindustrie aus?

Textil aus Deutschland ist viel mehr als Bekleidung. Hochwertige Garne, Vliese, Stoffe, Fasern für textilen Leichtbau, für den Automobil- und Flugzeugbau, für Medizinprodukte – vom Wundverband bis zum Stent. Unsere Unternehmen produzieren Produkte für ganz spezielle Anwendungen, ob das Filter für andere Industrien sind oder Arbeitsbekleidung mit Zusatzfunktionen, etwa beim Brandschutz. Oder denken Sie an die vielen Textilien zu Hause, vom Teppich über den Vorhang bis zum Handtuch, Textilien für Möbel aller Art. Es gibt kaum einen Lebensbereich, in dem Sie heute keine textilen Anwendungen mehr finden. Dabei ist es unseren Unternehmen dank der hohen Forschungs- und Ausbildungsdichte in Deutschland gelungen, international mit intelligenten und innovativen Produkten wettbewerbsfähig zu sein. Bei technischen Textilien sind wir sogar Weltmarktführer. Textil formt, wenn sie so wollen, die moderne Welt, und das weit in andere Branchen hinein.

Und speziell im Bereich Mode: Wie sieht Ihrer Ansicht nach hier die Zukunft aus?

Die großen Trends heißen Individualisierung und Digitalisierung. Der 3D-Druck ermöglicht es, für den Kunden nach ganz individuellen Bedürfnissen Bekleidung oder Schuhe anzufertigen. Unsere Bekleidung wird, nicht nur bei Funktions- und Sportbekleidung, immer mehr können. Smart Textiles messen Körperfunktionen, kühlen oder wärmen je nach Bedarf. In der Mode stehen deutsche Marken international für beste Qualität und Design und für hervorragende Sozial- und Umweltstandards weltweit. Damit sind die deutschen Unternehmen auch im Fashion-Bereich hervorragend aufgestellt. Kein anderes Geschäft ist allerdings so global wie Textil und so ist es auch für unsere Bekleidungsunternehmen ein immerwährender Kraftakt, im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Frau Merker, Sie sind die Geschäftsführerin des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Textil vernetzt, könnten Sie uns etwas mehr dazu erzählen?

Das Zentrum ist im November 2017 unter Federführung des Gesamtverbandes textil+mode als Teil der Initiative Mittelstand-Digital gestartet. Mit Mittelstand-Digital unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen und dem Handwerk. Und hierin liegt auch unser Auftrag: Dem textilen Mittelstand die Möglichkeiten der digitalen Transformation zu veranschaulichen und ihm konkrete Handlungsanweisungen an die Hand zu geben. Im Idealfall bedeutet das, dass wir gemeinsam mit den Unternehmen vorhandene Potenziale analysieren und Lösungen individuell umsetzen.
Gemeinsam mit den vier Partnern bedienen wir dabei die Schwerpunkte durchgängiges digitales Engineering, Arbeit 4.0, Sensortechnik und vernetzte Produktion.

Der Gesamtverband betreibt außerdem einen Showroom in Berlin. Was kann man dort sehen?

Der Mittelstand kann sich in der Praxis wenig unter dem Begriff Digitalisierung vorstellen. Daher bieten wir mittels Exponaten Digitalisierung zum Erleben und Anfassen und demonstrieren, wie der digitale Wandel in der Branche aussehen kann. Was uns sehr erfreut: Mit jeder Veranstaltung wächst das Interesse der KMU. Im Berliner Showroom zeigen wir, wo wir gemeinsam mit unseren vier Partnern ganz konkret unterstützen. Unsere Partner sind das Institut für Textiltechnik (ITA) in Aachen, das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) in Chemnitz, die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) in Denkendorf und der Sensorhersteller Hahn-Schickard in Stuttgart.

In welchen Bereichen innerhalb eines Textilunternehmens kommt Digitalisierung zum Tragen und wo brauchen Unternehmen Ihrer Erfahrung nach die größte Unterstützung?

Wir unterstützen sowohl Einsteiger als auch Experten. Viele Mittelständler haben vor allem Interesse an der Nachrüstung ihrer Bestandsmaschinen und Anlagen durch smarte Sensorik. Bei den Unternehmen, in denen wir die Bedarfe bislang entschlüsselt haben, reicht die Bandbreite von der Einführung eines Assistenzsystems bis hin zur Nutzung von Robotertechnik. Ein Hauptaugenmerk liegt darauf, Mitarbeiter fitzumachen, sodass sie mit digitalen Anwendungen umgehen können. Dazu bietet unser Netzwerk praxisnah Trainings- oder Weiterbildungsmöglichkeiten an.

Welche Fördermöglichkeiten können KMU in Deutschland in Anspruch nehmen?

In Deutschland existieren verschiedene Förderprogramme, die beispielsweise über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, regionalen Förderbanken oder Wirtschaftsförderungen angeboten werden. Diese reichen von Beratungs- oder Innovationsgutscheinen hin bis zum Digitalkredit.

Haben Sie einen Tipp für mittelständische Unternehmen aus der Bekleidungsbranche?

Das Thema Digitalisierung wird an niemandem vorbeigehen. Daher ist es ratsam, sich über kurz oder lang mit den Herausforderungen auseinanderzusetzen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Niemand muss zum „Digital Native“ werden – dafür gibt es Expertennetzwerke wie unseres – aber jeder Unternehmer sollte eine Vorstellung davon haben, wie sein Unternehmen in den nächsten Jahren aufgestellt sein soll.

Die Optimierung von Geschäftsprozessen oder die Einführung neuer Technologien sind machbar. Es bedarf lediglich einer sinnvollen Strategie und der entsprechenden Expertise. Beides erhält man bei uns.

Wir bedanken uns ganz herzlich für die Antworten bei Herrn Dr. Mazura und Frau Merker.